photo: klaus dilger

Hoffnungsvolle Newcomer
Nachtkritik von KLAUS KEIL

Made in Köln. Wer würde bei diesem zweisprachigen Label nicht gleich an die kulturelle und künstlerische Heterogenität der Kulturstadt  Köln denken. Und wo anders als im Tanz lässt sich deren künstlerisch-stilistische Vielfalt besonders sichtbar festmachen.

Unter dem Label „Made in Köln“ präsentiert das MichaelDouglasKollektiv junge choreografische Nachwuchstalente, die ihre Stücke im Tanzatelier des MD-Kollektivs im Quartier am Hafen in Poll erarbeitet haben. Mit dem MAD-Festival von Barnes Crossing in der Wachsfabrik gibt es mit `Made in Köln´ nun also eine weitere Plattform für den choreografischen Nachwuchs. Das Prinzip ist bei beiden Nachwuchsforen in etwa gleich. Da dem Nachwuchs die Probemöglichkeiten fehlen, wird ein kurzes Residenzprogramm angeboten, bei dem die Choreografin/Choreograf ein Stück, eine Idee, ein Sequenz tänzerisch-choreografisch erarbeiten oder vertiefen und zur Aufführungsreife bringen sollen. Die erste Präsentation von „Made in Köln“ hatte gestern in der Bühne der Kulturen in Köln-Ehrenfeld Premiere und ist heute Abend noch einmal zu sehen.

Was für ein Abend! Fünf Beiträge hat der Abend, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Wer erleben möchte, wie unglaublich vielseitig, wie kreativ und voller Ideen der Nachwuchs von Kölns freier Tanzszene ist, darf diesen Abend nicht verpassen. Aber was heißt schon Nachwuchs. Hier sind junge choreografische Talente und junge Könner am Werk, die zeigen wie anders Tanz auch sein. Das manches Stück eher als Fragment zu sehen ist, mindert nicht seinen künstlerischen Anspruch. Und dass manchem Fragment noch der letzte dramaturgische Schliff fehlt, ist häufig einfach eine Kostenfrage. Hier allerdings hätte sich das betreuende MD-Kollektiv über die Bereitstellung der Probemöglichkeiten noch verdient machen können. Es sind kurze Stücke zwischen 10 und 25 Minuten mit überraschenden, teils experimentiell anmutenden Inhalten. Den Freiheiten von Tanz und Musik forschen die Tänzerin Romy Schwarzer und die Sängerin Anna Maria Schuller in „raumsinn trifft lichtzeit“ nach – und scheinen doch immer wieder auf deren Begrenztheit im gemeinsamen Kontext zu stoßen.

Kollektive Choreografien sind bei vielen jungen Künstlern inzwischen selbstverständlich. So wie beim Trio von Janina Bobrowski, Melanie Müller und Arielle Chauvel-Lévy, die ihren Beitrag „37° Schnappschuss“ gemeinsam erarbeitet haben. Sympathisch ist, dass sie im Programm angenehm offen über den Prozess ihrer inhaltlich-choreografischen Suche sprechen. Rückwärts zum Publikum steht eine von ihnen und bringt in einem ausdrucksstarken Solo ihren ganzen Körper ein. Die zweite fällt bei einem Blackout aus ihrem Sitz in der ersten Reihe krachend auf die Bühne. Mit der dritten kommt die Musik. Sie quert nur kurz die Bühne, lächelt ins Publikum und verschwindet wieder – und mit ihr die Musik. Dieses Fragmentieren und Zusammenfügen mutet, sicher ungewollt, fast dadaistisch an: die Form ist der Inhalt. Ein spannendes Work in Progress.

Ein ebenfalls spannendes und überraschendes Stück hat das Kollektiv NUTROSPEKTIF mit seiner Melange von Streetdance-Stilen und einem witzigen wie sehr authentisch wirkenden Inhalt vorgelegt. Fünf Gestalten trotten auf die Bühne, über und über mit Klamotten bedeckt, die später auf dem Boden zu einem bunten Teppich ausgebreitet werden und vielfältige Assoziationen zulassen. Ironisch nimmt das Kollektiv der Tänzerinnen Yeliz Pazar, Daniela Rodriguez Romero, Bahar Gökten, Frederike Frost und Katja Denneng die eigene Herkunft aufs Korn. Der Stil-Mix von Breakdance, Locking, Popping and more sollte nicht nur beibehalten, sondern unbedingt erweitert werden, da er für Kölns freie Szene absolut neu ist. Dazu passt ihr Stücke-Titel  „Columba Livia“, der die verwilderte Form de Haustaube meint. Er gibt dem Stück genau den richtigen Kick. Großartig.

Das Akrobaten-Duo Tim Behren und Florian Patschovsky von HeadFeedHands hat sein bekanntes und gefeiertes Stück „EH LA“ weiter bearbeitet und um einige tänzerische Bewegungselemente ergänzt. Mit seinen komplizierten up-and-down-Schwüngen und Figuren blieb auch gestern die Begeisterung des Publikums nicht aus. Man kann nur hoffen, dass die beiden dabei nicht stehen bleiben, sonst wird die Begeisterung bald weg sein.

Der letzte Beitrag kam von der ebenfalls bereits bühnenerfahrenen Choreografin Reut Rhemesh. Ihre durchaus ernst gemeinte Tanzsatire „Aora“ war das wohl witzigste und in seiner satirischen Tiefe auch tanzkritischste Stück des Abends. Dass man auch als Zuschauer dabei gefoppt wird, geht den meisten im Publikum erst spät auf, denn ihre Bewegungssequenzen oder Figuren beginnen oft ganz ernsthaft, um am Ende in einer komischen Figur zu enden. Die großen Posen der Klassik lassen grüßen. Das Ganze in der Bewegung extrem verlangsamt und mit Arien-ähnlichem Gesang hinterlegt, verfehlt seine Wirkung nicht. Eigentlich sollte man gewarnt sein, denn anders als im klassischen Ballett mit seinem formvollendeten Auftakt beginnt ihr Stück mit einem Leiberhaufen, aus dem sich ein Arm wie ein Schwanenhals hervorreckt. Und die Leiber gehören zu Or Hakim, Nicolas Robillard, Laura Eva Meuris und Youngsuk Lee, die nicht nur mit ihrem Blick ins Leere, sondern auch tänzerischen Können überzeugen. Reut Shemesh „Aora“ ist kritische Tanzcomedy, die das eigene Genre witzig und unterhaltsam aufs Korn nimmt.