photos: Anja Beutler

Ich will das Zittern der Hände sehen
Die Choreographin Nicole Beutler als Gast der Veranstaltungsreihe „Mapping the Field“ in der Sporthochschule

Von Thomas Linden

Der Tanz unserer Tage ist energiegeladen, hungrig nach neuen Einflüssen und voller Zuversicht in das Unternehmen einer eigenen Sprache verwoben, die unsere Realität mit den Möglichkeiten des Körpers reflektiert. Aber allzu oft werden die Ambitionen, die sich mit neuen, komplexen Themen auf dem Tanzboden beschäftigen, in den Produktionen ästhetisch nicht eingelöst. Der Atem geht manchem Choreographen einfach auf halbem Wege aus. Man kann sich aber den nötigen intellektuellen Hintergrund aneignen. Die Substanz, die dazu notwendig ist, liefert etwa die niederländische Choreographin Diane Elshout, der das Institut für Tanz und Bewegungskultur der Deutschen Sporthochschule Köln eine Gastdozentur angeboten hat, die sie mit Verve wahrnimmt.

Im Musischen Forum präsentiert Diane Elshout ihr Projekt „Feldvermessung / Mapping the Field“ und lädt sich internationale Spezialisten des Tanzes, wie die in Deutschland geborene aber in Amsterdam lebende Nicole Beutler ein, die mit großer Offenheit aus ihrer Choreographen-Werkstatt berichtete. Diane Elshout entwirft zunächst den weit gespannten Boden der Geistesgeschichte von der Romantik durch alle Epochen bis in die Gegenwart hinein. Und sie skizziert die in den letzten Jahren immer intensiver betriebenen Versuche des Re-enactment, bei dem historische Choreographien rekonstruiert werden. Eine Entwicklung, die zeigt, wie der Tanz ein Bewusstsein seiner Rolle im Konzert der Künste zu bilden beginnt. Man beginnt eine Identität zu formulieren, mit wissenschaftlichem und mit künstlerischem Instrumentarium. Köln ist ein guter Ort dafür, hier arbeitet das Deutsche Tanzarchiv an dieser Aufgabe, hier wurde „Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss erforscht und noch in diesem Herbst zeigten Anne Collod ihre Rekonstruktion von Anna Halprins „Parades & Changes“ und Anna Teresa de Keersmaeker ihre Produktion „Drumming“.

Nicole Beutler präsentierte Filmbeispiele von „Le Sylphides“, einer Barock-Choreographie, die am Hofe Ludwig XIV. getanzt wurde und so etwas wie die Geburtsstunde der Neuzeitlichen Tanzkunst markierte. Drei Primaballerinen tanzen, das Publikum positioniert Nicole Beutler unmittelbar im Kreis um die Akteurinnen. „Für die Tänzerinnen soll das Publikum einfach in unmittelbarer Nähe sein, so wie Büsche und Sträucher draußen in der Natur“, erklärt sie. Andererseits möchte sie, dass das Publikum die Körper der Tänzerinnen direkt wahrnehmen kann, „dass man sieht, wie die Hände zittern, wenn die Tänzerinnen vor ihnen stehen und dass man die Choreographie von allen Seiten betrachten kann“.


Es ist ihr wichtig, dass die Kommunikation zwischen Tänzern und Publikum funktioniert, dass die Betrachter respektiert und nicht mit übereifrigen oder forcierenden Aktionen in eine Interaktion gezwungen werden. Aber die Nähe bleibt das Thema von Nicole Beutler: „Ich will Menschen anschauen, will spüren, dass sie echt sind. Darin liegt heute die Bedeutung des Tanzes gegenüber dem Digitalen, das mir immer viel schnelleres, unterhaltsames Futter bietet“, sagt sie. Die Intimität des Austauschs zwischen Tänzern und Publikum begeistert sie und dieser Austausch geht für Nicole Beutler über die kulinarische Betrachtung hinaus. „Der Tanz ist sehr visuell“, erklärt sie, „aber mir ist auch das Hören wichtig“, denn im Ohr sitzen bekanntlich unsere Gefühle. Wir sind noch nicht geboren und nehmen schon als Embryos die akustische Atmosphäre unseres sozialen Umfelds wahr. So produzierte sie mit „Songs“ ein Stück ganz ohne Tanz, in dem Texte zu Medea, Antigone und dem Gretchen aus Goethes „Faust“ gesungen wurden. Eine Produktion, die ganz der Choreographie des Mundes gewidmet war, wie sie versichert.

IIn „Dialogue with Lucinda“ unterlegte sie den Rekonstruktionen der minimalistischen Choreographien von Lucinda Childs raffinierte Klangteppiche. Ein genialer Einfall, der den stereotypen Bewegungsmustern der Amerikanerin einen unwiderstehlichen Sog verlieh. Und sie lässt die Tänzer sprechen, „denn sie sind Menschen, deshalb will ich ihre Stimmen hören“, erklärt sie.

Für Nicole Beutler ist der Versuch, räumliche Distanz zu den Aktionen auf der Bühne aufzubauen, gleichbedeutend mit dem trügerischen Versuch, Bewegung perfekt erscheinen zu lassen. In ihren Rekonstruktionen ist ihr jedoch stets daran gelegen, den historischen Abstand aufzulösen. „Für mich bedeutet die Rekonstruktion immer, ein Bild aus seinem Kontext herauszulösen, um Kontakt mit ihm aufnehmen zu können“. So entwickelte sich auch die Begegnung zwischen Gastgeberin Diane Elshout und Nicole Beutler zu einem intensiven Austausch, in dem der Blick auf das Denken und Arbeiten im aktuellen Tanzbetrieb rückhaltlos freigegeben wurde. Dort, wo die Inspiration arbeitet, kann man das Herz der Künstler unmittelbar schlagen hören, das ist das Erlebnis, das Diane Elshout den Besuchern von „Mapping the Field“ liefern möchte. Ein Versprechen, das sie mit aller Konsequenz einlöst.

2_ DIALOGUE WITH LUCINDA by Nicole Beutler_ nb
Die nächste Veranstaltung zu „Mapping the Field“ findet am 9. Januar 2013 statt.