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„LVMEN – Live-Photography & Dance Performance“

IN DEN DUNKELKAMMERN DES EGOS

von Emanuele Soavi und Cora Bos-Kroese

erneut am 23., 24. und 25.September in der Alten Feuerwache Köln

HIER GEHT ES ZU UNSEREM VIDEO-TRAILER VON LVMEN

Nachtkritik von Nicole Strecker

Winzige Härchen richten sich wie silbrige Börstchen von der Haut auf, ein Speicheltröpfchen glitzert im Mundwinkel, die Iris der Augen funkelt wie ein blauer Diamant – so porentief bekommt man Tänzergesichter selten zu sehen. Zumal die Bühne, auf der diese Porträts entstehen, noch im Halbdunkel liegt und bevor die Körper zu erkennen sind, wird man als Zuschauer ganz theateruntypisch mit Gesichtern konfrontiert: Cora Bos-Kroese, Federico Casadei, Lisa Kirsch, Emanuele Soavi, Joke Zijlstra – fünf Tänzer, die sich mit ernster Intensität der Kamera ausliefern. Ungeschützt, intim – obwohl: Wem, wenn nicht Joris-Jan Bos kann man sich so anvertrauen! Der Fotograf hat jahrelang den „Look“ des Nederlands Dans Theaters durch seine Bilder mitgeprägt. Er hat die Arbeiten von Weltstars wie Hans van Manen, Eduard Lock, William Forsythe oder Ohad Naharin dokumentiert, nein: in Bildkunst verwandelt.

Das tut er nun auch auf der Bühne von Cora Bos-Kroese und Emanuele Soavi. Bos gibt den Tanzpaparazzi mit hochgeschobener Brille auf der Stirnglatze: Er fotografiert die Performer live in Aktion, huscht immerzu zwischen ihnen herum, rückt ihnen mit seinem Apparat zu Leibe.

Zum dritten Mal sucht der Kölner Choreograf Soavi in seiner Reihe „The Habit Cycles“ die gleichberechtigte Kollegen-Kooperation. In der Vergangenheit arbeitete er mit Tanztheater-Ikone Susanne Linke und dem Schauspieler und Regisseur Daniel Schüßler vom Kölner Analogtheater. Diesmal sind seine Partner Joris-Jan Bos und die niederländische Choreografin Bos-Kroese, Ex-Tänzerin beim NDT und Forsythe Ballet Frankfurt, Gründerin der Kompanie C-scope und eine der zentralen Repetitorinnen für die weltweite Einstudierung der Werke von Jiři Kylián.


„LVMEN“, so der Titel der Gemeinschaftsproduktion, nach dem Lateinischen „lumen“, Licht und, wer weiß, vielleicht darf man bei der Worterfindung auch ein bisschen an „LV – Louis Vuitton“ denken, denn wo Foto, schöne Körper und Bewegung aufeinandertreffen, wird auch eine kunstbeflissene Tanzbühne schnell zum Catwalk. So in einer der witzigsten Szenen des Abends:
Die drei Tänzerinnen Bos-Kroese/Kirsch/Zijlstra stöckeln auf gesundheitsgefährdenden Stilettos zur ‚Next-Topmodell-Parade‘ auf, hämmern unter dramatischem Ächzen ihre Mini-Absätze wie kampfbereite Toreros in den Boden, arrangieren den Körper zur Divenpose. Allein: Der Fotograf fummelt teilnahmslos an seiner Kamera herum, kein Beauty-Shooting, da mögen die Grazien noch so aggressiv-sexy provozieren.
Man mag darin eine kleine Tanzsatire auf Supermodel-Shows und ihre hysterischen Geltungssüchteleien sehen, wie überhaupt der Abend wunderbar unaufdringlich die Dimensionen der Beziehung zwischen Fotografie und Körper, Bild und Bewegung auslotet.

Vor drei Jahren hatte der flämische Choreograf Wim Vandekeybus bereits in seinem Tanzstück „Booty Looting“ mit einem Live-Fotografen gearbeitet, der während der Vorstellung die Bühnenwirklichkeit zur Bildwirklichkeit verfremdete. Gewissermaßen eine ‚Verkunstung der Kunst‘, oder medienkritisch betrachtet: die Inszenierung von Lügenbildern. Auch in „LVMEN“ verblüfft die Andersartigkeit der Fotografien im Vergleich zum Bühnengeschehen. Joris-Jan Bos umrundet die Tänzer, zeigt Perspektiven auf ihre Körper, die der Zuschauer hinter der „4. Wand“ nicht zu sehen vermag, zerstückelt sie mit Close-ups, löst sie in Bewegungsunschärfen zu Farbschlieren auf, dramatisiert, verwirrt, verschönert und entstellt.


So wird Bos zum Mastermind des Bühnengeschehens. Er ist der gierige Pornograf, der den Körper wie eine Ware ablichtet, wenn sich Federico Casadei im Rotlicht gegen eine Plexiglasscheibe presst: plattgedrückte Muskeln, gummiartig verzogene Haut, weißes Fleisch schonungslos vergrößert auf einer Leinwand. Bos ist der romantische Illusionist, der sich unter eine transparente Tischplatte klemmt und von dort aus die herausragend kamera-affine Lisa Kirsch inszeniert wie eine im Fluss versunkene Ophelia: schwebendes rotes Lockenhaar, kindgroße veilchenblaue Augen, leichenblasse Tragik – während sie eigentlich ganz lebendig und cool auf dem Tisch tanzt.

Die 57jährige Joke Zijlstra posiert vor dem gnadenlosen Voyeurs-Auge der Kamera als eine aus der Zeit gefallene schwarze Aphrodite – die Skulptur als Wunschbild gegen die Vergänglichkeit. Doch juvenile Glätte ist nun mal unwiederbringlich, und so verwandelt Bos sie zärtlich mit Schwarz-Weiß-Schattenspielen in eine mysteriöse Film-Noir-Diva. Und wenn Emanuele Soavi wie eine ‚Alice‘ gegen die Logik des Leibes rebelliert und seine Gliedmaßen im Tanz mit einem Spiegel multipliziert, verunklart Bos als ein M. C. Emscher der Fotografie die Körper-Geometrien zur optischen Täuschung.


Verblüffende Bildzitate, ästhetische Vielfalt, Verschiebungen in der Wahrnehmung – „LVMEN“ bietet und befragt vieles. Wer im Choreografen-Tandem welche Parts kreiert hat, ist nicht auszumachen, es sieht für den deutschen Tanzkenner alles ziemlich „Soavi“ aus. Doch von Cora Bos-Kroese stammt ein zarter, tastender Text über die Kluft zwischen Ichgefühl und Aussehen, über Alter und die Rolle des Körpers für die Identität, eingespielt in einer Aufnahme mit der grandiosen Schauspielerin Kate Strong, die mit wohlartikuliertem Englisch und  unverwechselbar rau-zerbrechlicher Stimme in die Dunkelkammern des Egos vordringt.

Und nicht zuletzt ist dieses faszinierende „LVMEN“-Foto-Tanz-Studio auch: Ein philosophischer Exkurs über die Dimensionen der Zeit. Wo der Tanz rast, hinkt die Fotografie hinterher. Erscheint das Bild auf der Leinwand, sind die bewegten Körper längst in ganz anderem Zustand. Ein Machtkampf zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Fotografie und Tanz. Unentschieden. Es gibt an diesem absolut sehenswerten Abend definitiv zwei Gewinner.