©Iris Janke

NOCH EINMAL GELEGENHEIT AM 28.AUGUST 20UHR:

Das Monsterlabor als Streichelzoo

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Ruhrtriennale: „Sketches/Notebook“
von Meg Stuart im PACT Zollverein Essen

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Nachtkritik von Nicole Strecker
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Die Zuschauer haben noch nicht mal Platz genommen, da gibt es schon den ersten genial-ironischen Einfall an diesem Abend: Die Titelmusik von Jurassic Park empfängt den Zuschauer beim Einlass. Ein Soundzitat vom Dino-Blockbuster im Endlos-Loop. Ein Film über die Hybris der Forschung, die Gewalt der Natur und die unzivilisierte Bestie, die letztlich unausrottbar weiterlebt. Und das sind alles Ideen, die auch in Meg Stuarts früheren Stücken immer wieder auftauchten und die hier nun mit triumphalen Sound, aber in nervtötender Wiederholung spöttisch anzitiert werden. Denn die Monster der 51jährigen Choreografin sind im Streichelzoo gelandet. Statt sich wie früher die Wut, den Schmerz und den Horror des Daseins aus dem Leib zu tanzen, torpediert die für ihre Trauma-Taumel-Choreografien bekannte Stuart ihr eigenes Klischee. Seit ein paar Jahren wird auf ihrer Bühne gekuschelt, geträumt und gespielt. ‚Befreie deine Fantasie‘ – das könnte auch die Devise ihrer schon 2013 entstandenen Produktion „Sketches/Notebook“ gewesen sein.

©Iris Janke

Am Anfang war das Chaos. Lichtblitze fliegen wie Sternschnuppen durch den Raum. Zwei Performer kriechen unter Tierfelle wie Höhlenmenschen. Andere sausen als unberechenbare Elementarteilchen an den Zuschauern vorbei, und in einer Ecke der Bühne findet ein Fotoshooting mit abstrusen Kostümen statt, in der die modell-schöne Performerin mit Rehgeweih auf dem Kopf posiert wie eine Märchenfigur, dann huldvoll-rätselhaft wie ein Renaissance-Ideal, aber auch schon mal derb-kerlig herumstiefelt wie ein testosteron-dampfender Cowboy. Die Tänzerin kann alles und jeder sein, nur eines ist sie niemals: eindeutig.
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So triumphiert die Anarchie in Meg Stuarts Bühnenraum, in dem die zehn Performer immer wieder eine schräge Holzrampe in Embryohaltung runterrutschen – wie eine Hommage ans Kindsein auf dem Spielplatz. Stuart schickt nicht nur ihre Tänzer auf die Bühne, darunter die beiden fantastischen Frauen Antonija Livingstone (langbeinig, rothaarig, umwerfend aufgekratzt) und Maria F. Scaroni (punkig-abgewetzte Sinnlichkeit). Sondern auch ihr Backstage-Personal: die Kostümbildnerin, den Musiker sowie den Licht- und den Bühnenbilddesigner. Und jeder probiert sich in lustvoll-schrägen Selbstentwürfen aus, sucht nach einer Poesie ohne Kitsch. Vor allem aber forscht man nach Ritualen zur Gemeinschaftsbildung, nach der Chance zum gelingenden Kollektiv – was dieser Tage ja ein ziemliches Mainstream-Thema ist, das Meg Stuart aber ganz subtil und glaubwürdig persönlich umkreist. Dabei darf gelegentlich auch Abgründig-Zeitkritisches assoziiert werden, etwa bei Menschen mit vermummten Köpfen wie Terrorgefangene oder durch die Luft schwebenden Rettungsfolien. Doch auch diese Symbole werden quasi rückerobert, als rein ästhetische Form betrachtet und so neu definiert.

In einer der schönsten Szenen des Abends drängen sich die Performer zu einem Leiberknubbel zusammen. In die Lücken zwischen den Körpern werden Klamotten, Kissen, auch eine Kuhglocke gestopft als ginge es darum, den Kugelmenschen ganz dicht zu machen. Dann wälzt sich der Menschenball durch den Raum, einzelne Gliedmaßen werden sichtbar, Kleidungsstücke flattern hoch, und nichts geht dieser engst-möglichen Gemeinschaft verloren, alles wird durch die Bewegungen der anderen mitgeschleift. Die  „community“ als schön-schreckliches System, das schützt und schlingt.

©Iris Janke

„Sketches/Notebook“ – das klingt nach unaufgeräumter Materialsammlung, ist aber in Wahrheit ein dramaturgisch fein gesponnenes Gewebe aus Motiven und Bezügen, sofern man als Zuschauer Spaß am wilden Assoziieren hat. Da tanzt sich unter einem Kostüm aus Schlafdecken eine nackte Meg Stuart in die trotzig-erotische Selbstbehauptung wie eine Lady Gaga, und kurz darauf sieht man die anderen Performer in einer großartigen Sequenz sich gegenseitig über die Köpfe heben wie Rockstars beim Stagediving. Lichtreflexe funkeln wie in einem Kaleidoskop. Später formieren die Tänzer mit ihren auf dem Boden liegenden Körpern selbst  geometrische Muster wie die Kristalle im Spielzeug.
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So glitzert in diesen wundersamen ‚Sketches‘ jede Szene wie ein Solitär und verbindet sich doch immerzu eins mit dem anderen. Kostümtrash und Tanz, der in der simpelsten Bewegung die größtmögliche Bedeutsamkeit aufspürt. Klagende Gitarrenriffs, philosophisch-clowneske Texte, kindsköpfige Zuschauer-Animationen. Eine ästhetische Utopie. Ein zärtlich-schrulliges Plädoyer für die verbindende Kraft der Fantasie.
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Erneut am 26., 27. und 28. August; jeweils 20 Uhr – Einführung: 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn