©Zerrin Aydin-Herwegh
.
O-TON PINA BAUSCH
-Interviews und Reden-
.
.
erschienen im NIMBUS Verlag, Herausgegeben von Stefan Koldehoff und der Pina Bausch Foundation – Redaktion Magdalene Zuther
Buchbesprechung von Klaus Dilger
Pünktlich zur Ausstellungseröffnung in der Bundeskunsthalle in Bonn erschien die insgesamt 400 Seiten starke Publikation mit Interviews und Reden der Schöpferin des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.
Sie gibt dem Leser, chronologisch geordnet von 1973 bis zu ihren beiden Kyoto-Reden im Jahr 2007, gehalten nur neunzehn Monate vor ihrem Tod, Einblicke in das Forschen, Fühlen und Erleben des Menschen Pina Bausch, dessen künstlerisches Schaffen zutiefst geprägt war von der Suche nach Wahrheit und Humanität. Und sie vermittelt durch die Fragen und Fragenden, denen sich Pina Bausch in berührender Offenheit aber auch mit der ihr eigenen Bescheidenheit und Geduld in den Gesprächen stellt, Rückschlüsse auf die sich langsam verändernde Rezeption eines Werkes, das sich auf die Hingabe, die Verantwortung und das Vertrauen zwischen den beteiligten künstlerischen Partnern stützt und nur so den langen steinigen Weg zu überwinden vermochte, der zwischen den Anfängen und Visionen bei Pina Bausch‘s Übernahme des „Wuppertaler Balletts“ bis hin zur weltweiten Anerkennung des heutigen Tanztheater Wuppertal lag.
©Zerrin Aydin-Herwegh
Der weitere grosse Verdienst dieser Publikation liegt darin, die unterschiedlichen Quellen nicht nur in zeitlicher Ordnung nebeneinander gestellt zu haben, sondern teilweise auch Fragende zu Wort kommen zu lassen, die sich (noch) nicht durch eine grosse und intime Kenntnis der Arbeit und des Werkes von Pina Bausch ausgezeichnet hatten. So vermittelt sich dem Leser in den Fragen und Antworten nicht nur hautnah das Erlebnis des jeweils herrschenden Zeitgeistes und damit einhergehend ein Gefühl für die Dimension des Neubeginns an den Wuppertaler Bühnen durch Pina Bausch und seine Bedeutung für die Entwicklung des Tanzes | Tanztheaters schlechthin. Die Wahrhaftigkeit und Konsequenz der Antworten von Pina Bausch sind ebenso kompromiss- wie zeitlos und in ihrer Wirkung, auch heute noch und wieder, atemberaubend, auch wenn sie selbst sagte, dass sie sich als Choreografin nicht mit tänzerischen Mitteln auszudrücken bräuchte, wenn sie das alles in Worten sagen könnte.
©Laurent Philippe
Seit ihrer Arbeit im Jahr 1978 am Schauspielhaus Bochum, als sie dort ihr Macbeth-Stück („Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen“) nicht nur mit Tänzern, sondern auch Schauspielern und Musikern (u.a. Herbert Grönemeyer), inszenieren sollte, hatte sie begonnen, ihre Stücke aus einer Vielzahl von Fragen heraus zu entwickeln, die ihre Tänzer | Darsteller in Form von Bewegung, Bewegungsreihen, Improvisation oder auch in Worten beantworteten sollten, ohne dass Pina Bausch diese jemals kommentiert hätte. – In diesem Buch nun ist Pina Bausch die Befragte.
Der Fragende, ebenso wie der Leser, muss kein Tänzer sein, um in ihren Antworten, und mehr noch in der Art, der Gründlichkeit und doch stetigen Behutsamkeit die diese begleiten, zu erkennen, dass es der Choreographin mit ihren Fragen (und auch hier mit ihren Antworten) stets nur darum ging, „Etwas [zu] finden, was keiner Fragen mehr bedarf“. (Kyoto Rede 2007)
©Ulli Weiss
Sie war stets davon überzeugt, dass es im und mit dem Tanz darum gehe, eine Sprache für das Leben zu finden, wohl auch weil sie wusste, dass wir mit Worten nur eine Ahnung und mit Tanz und Musik einen Zugang entwickeln würden zu einem Wissen und einer Wahrheit die (für sie) ausserhalb der Zeit liegen und die wir alle teilen. Auch hierüber spricht sie in aller Offenheit in mehreren der hier abgedruckten Interviews.
Pina Bausch, so wird uns hier deutlich, war Keine die argumentierte oder behauptete. In den Reden und Interviews erfährt der Leser die Zartheit und Verletzlichkeit, auch die Angst und Ängste, noch mehr aber erfährt er den feinen und ausserordentlich warmherzigen Humor der grossen Choreographin.
©Ulli Weiss
An mehreren Stellen wird deutlich, dass es für Pina Bausch eigentlich nur die Arbeit gab, der sie sich gerade in Wuppertal uneingeschränkt hingeben konnte und wollte. In „Sonntagsstädten“, wie sie sich in den Interviews auf die Fragen hin äusserte, weshalb sie nicht in Paris oder New York arbeite, hätte sie dieses Oeuvre nicht erschaffen können.
Sie wusste auch, so erfahren wir, dass dies nicht immer leicht für die Tänzer gewesen ist und dass das enorme Arbeitspensum, das sie sich und jedem abverlangte, wohl auf Dauer ohne den internationalen Erfolg und den, seit der Koproduktion mit Rom für „Victor“ in 1986, regelmäßig realisierten internationalen Koproduktionen mit Hilfe der Goethe Institute, nicht möglich gewesen wäre.
Pina Bausch hat mit ihrer Arbeit den Tanz nicht neu definiert wohl aber dessen Entstehungsstrukturen revolutioniert und damit auch dessen Horizont in Rezeption und Kreation enorm erweitert. Sie hat dem Tanz durch ihre Suche eine Wahrhaftigkeit (zurück) gegeben, die so in ihrer Unbequemlichkeit das damalige Stadttheaterpublikum zutiefst verstören musste. Dass sie sich hierbei stets auf das hohe technische Können und die Beherrschung des Körpers bei all ihren Tänzern als Selbstverständlichkeit berufen konnte und dies auch tat, stellt keinen Widerspruch dar zu einer ganzen Reihe ihrer frühen Arbeiten. Auch hierüber erfährt der Leser Vieles in der Lektüre von „O-TON Pina Bausch“
Dieses Buch macht Mut! – Es macht Mut, weil es durch die Worte dieser bedeutenden Choreographin deutlich Stellung bezieht, worum es (ihr) in der (Tanz)Kunst eigentlich geht: den Zugang zu einem Wissen, das wir alle teilen, das ausserhalb der Zeit liegt und in seiner Zeitlosigkeit stets auch zeitgenössische Gültigkeit besitzt.
©Ulli Weiss
Dieses Buch berührt, weil es in jeder Zeile zu vermitteln vermag, was Jochen Schmidt, einer der intimsten Kenner der Arbeit von Pina Bausch und des Tanztheater Wuppertal, in seinem Nachruf in 2009, so ausdrückte:
„Schon am Ende der siebziger Jahre stand der Name Pina Bausch für ein Theater der befreiten Körper und des befreiten Geistes, für ein Tanztheater der Humanität, das auf der Suche war nach Liebe, Zärtlichkeit und Vertrauen zwischen den Partnern – und nach einer tänzerischen Sprache, die in der Lage sein würde, jene Kommunikation zwischen den Menschen zu ermöglichen, zu denen die bekannten Sprachen nicht mehr fähig waren.“
Erschienen ist das Buch im Schweizer Nimbusverlag:
Mit einem Grußwort von Monika Grütters und einem Beitrag von Anne Linsel.
Herausgegeben von Stefan Koldehoff und der Pina Bausch Foundation. Redaktion: Magdalene Zuther 22 x 15.5 cm, 400 Seiten mit 11 Abbildungen.
Fadenheftung, Spezialeinband, Euro 29.80 / CHF 32.00
ISBN 978-3-03850-021-6
Erhältlich in der Ausstellung «PINA BAUSCH und das TANZTHEATER» in Bundeskunsthalle, Bonn, 3. März – 24. Juli 2016 auch als broschierte Museumsausgabe erhältlich. Ebenso bestellbar unter verlag@nimbusbooks.ch