SOEBEN IN DER BONNER BROTFABRIK ZU ENDE GEGANGEN:

 

FESTIVAL “INTO THE FIELDS” 2016:

La_Trottier Dance Collective

 

Aus die Maus und her mit dem Bär

Nachtkritik von Melanie Suchy

Beim Bonner Festival Into the Fields zeigte Eric Trottier seine neueste rheinisch-pfälzische Koproduktion: „Soli d’arrêter“, ein melancholischer Aufruhr gegen die Müdigkeit und gegen den Aktionismus, gegen Ansprüche und gegen Anspruchslosigkeit.
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Wenn er anfängt, hat er schon aufgehört. Im sehr spärlichen Licht, als ob mitten in der Nacht der Schein einer Straßenlaterne durch ein nicht ganz geschlossenes Fenster fällt, sitzt Eric Trottier und raucht. Er zieht an der Zigarette, bläst den Rauch aus, schaut vor sich hin und dann schräg nach oben, wie es Menschen tun, die sich erinnern. Genug getan, genug gerackert, jetzt ist mal Ruhe.
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Damit es ein Tanzstück wird, rappelt er sich natürlich immer wieder auf, darum geht es dann, um mehrere Enden: „Soli d’arrêter“. Soli vom Aufören. Karel Vanĕk von Černá Vanĕk Dance Bonn hat sie für den und mit dem Mannheimer Tänzer und Choreographen Eric Trottier choreographiert, das Konzept stammt von Vaneks Teamkollegen Guido Preuß. Nach der Premiere Ende Januar in Mannheim im Theater Felina Areal, dem Stammsitz des La Trottier Dance Collective seit 2011, war diese eindrucksvolle Solosuite nun erstmals in Bonn zu sehen, in der Brotfabrik.
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Das Publikum schaut auf die Bühne herab, die an den Seiten mit grauem und schwarzem Stoff abgehängt ist; im Halbrund stehende Scheinwerfergestänge engen das Spielfeld in der Box noch weiter ein, die so fast Jahrmarkts-Charakter hat. Nur ohne Farbe. Das passt zu dem Soli-Solo, das einen Tänzer zeigt, der sich noch einmal, zweimal, dreimal aufrappelt, um dem Publikum zu gefallen, ihm etwas darzubieten. Sich? Nein, den Tänzer oder die Rolle, die er dort ist. Er schlüpft in Hüllen, immer. Aber welche ist die richtige, passt und funktioniert? Manche besteht aus Bewegungen, Haltungen, eine andere beschert ihm ein dickes Fell, eine spätere legt ihn blank. Die Wanderung, Wandelung durch die Stationen wird begleitet von zurückhaltenden elektronischen Klängen von Peter Hinz, die mal mehr, mal weniger Beat ins Geschehen pumpen. Die Soli münden in Pausen des Ausruhens, Wassertrinkens, Atemholens, bis ein Signal, „klick-klick“, zum erneuten Aufbruch ruft. Wer gefürchtet hatte, dass der versierte Tänzer Trottier plötzlich zu reden begänne über Karriere und Tänzerermüdung oder dass er Bröckchen früherer großer Ballerinorollen zitatmäßig ausgrabe, wird beglückt durch die Konzentration auf „kleinen“ Tanz und auf die Ruhe, mit der das Auge die Details betrachten kann und in die er – oder sein Tänzer-Alter-Ego – sich immer wieder flüchtet, bettet, sinken lässt.

DER BÄR LOS

Wenn sich Eric Trottier in legerer Kleidung vor dem Publikum aufstellt, sein Gesicht in die Dunkelheit ihm gegenüber hält, wachsen ihm langsam die Arme in die Höhe. Doch nur halb: Die Unterarme baumeln an den Ellbogen. Er wird zur Vogelscheuche und beugt die Knie. Wenn die Finger sich spreizen und wölben, wirken sie wie Federn, vielleicht trägt die Scheuche selber Flügel, ein verkappter Adler. Er kippt rückwärts, landet am Boden, auf den Knien, auf dem Bauch, gerät in Unordnung, streckt und hebt, steht wieder, rotiert und ruckelt, der Kopf wendet sich nach hier und dort. Er steckt ihn in einen großen braunen Bärenkopf und schleppt und schiebt sich übern Boden, dann gibt er die schwere Maske wieder auf. Stattdessen zieht er sich menschliche Formen an, Gesten. Das geht leicht, die Hände so und so zu heben, zu öffnen, zu drehen, der Körper wird ganz weich und wellig dabei, schlenkert. Doch wächst sich das zur krampfigen Lustigkeit aus, die Knie wabbeln, die Hände wedeln, greifen in den Schritt, der Mund reißt auf, der Kopf zittert. Dann lässt der Tänzer es sein.

Wie um zu sich zu kommen, schließt er die Augen, breitet die Arme aus, schwebt ein wenig vor sich hin oder in einer imaginären Leere. Und füllt sich in den Pelz. Schmiegt sich in das Fellkostüm, das wie ein Schlafsack in der Ecke liegt. Er behält seinen eigenen, unbepelzten Kopf und wird darunter plump und breit mit Stummelschwanz und strampelt, um sich im neuen Heim einzurichten. Patscht mit den fremden Riesenfüßen, wirft sich rumpelnd zu Boden, entblößt aber den Rücken. Nachdem er noch einmal ganz pelzlos und nur in Unterhose einen stillen Vierbeiner- und hibbeligen Zweibeinertanz präsentiert hat, zuckt Trottier mit den Gliedern, als wolle er sich von etwas frei machen, auch von diesem Kostüm. Um schließlich ganz zu verschwinden in dem Bären, mütterlich geborgen. Einmal wild brüllen, dazu ein paar Tanzbärtapser. Und dann Winterschlaf.

Eric Trottiers „Clown Story“-Duett von 2011 war theatralischer und vor schaler Munterkeit tief traurig. Das Schöne an „Soli d’arreter“ ist, dass es nicht jammert, nicht gegen das Älter- oder Müdewerden antobt, sondern der Veränderung, dem Verrücktwerden, der Suche und dem Wunsch nach Ruhe Raum und Zeit zugesteht. Form: Tanz. Humorvolle Momente nicht ausgeschlossen und erschöpftes Keuchen.