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Tanzweb Köln – 16.12.2012 Von Nicole Strecker
Vom Hirn zum Humor – Das Festival Tanztausch NRW-Leipzig-Berlin: Mit Choreografien von Morgan Nardi, Hermann Heisig und Malgven Gerbes

Tag drei beim Festival Tanz.Tausch: Man gibt sich intellektuell zwischen Düsseldorf und Berlin. Konzept- und theorie-gewappnet denken drei Choreografen über das Denken nach, über Sex und Humor – in zunehmend entspannter Fusion von Haupt und Unterleib. Ziemlich „hirnig“ der Auftakt: „Cartography“. Choreografin Malgven Gerbes erforscht hier mittels Mind-Mapping ihr Verstehen. Sie legt alte, kaum erkennbare Schwarz-Weiß-Fotos auf einen antiquierten Overheadprojektor, skizziert scheinbar willkürlich einige Details des Fotos auf der weißen Projektionswand nach: Vom Foto eines Walfisch-Skeletts ein paar Wirbel, von einer anderen Aufnahme die Silhouette eines Menschen oder die Skyline einer Stadt. Bild für Bild hinterlässt eine Erinnerungsspur auf der Leinwand, später auch auf dem Boden, wenn Gerbes ein bisschen wie beim Actionpainting, nur eben mit schulmeisterlicher Kreide mit vollem Körpereinsatz Kreise, Linien, Bögen skizziert. Dazu doziert sie mit starkem französischem Akzent Sätze wie: „Mein Körper wird getragen von meinen Inspirationen und meinen Aspirationen.“ – Ob das ernst gemeint ist? Eher schon könnte ihre Performance als Parodie auf die Hybris der Neurobiologen funktionieren, die glauben, irgendwann die Prozesse des Gehirns ganz entschlüsseln zu können – als wären alle Wünsche, Erinnerungen, Gefühle erfassbar in einem logischen Modell.

Der Mensch als die einzige Kreatur, die selbst-reflexiv denken kann, denkt sich in den Wahnsinn – so der Eindruck bei Malgven Gerbes Performance. Denn je mehr sie ihre kognitiven Fähigkeiten in ihren Kartografien veranschaulicht, umso chaotischer wird ihre Welt. Die aufgemalten Strukturen übermalen sich gegenseitig und auch Gerbes selbst gerät langsam aus der Façon: Ihr Shirt verrutscht, das Haar löst sich, ihre Kleidung ist mit Kreide und Kohlestrichen beschmiert. Doch ob diese meditative Lecture-Performance mit Körper-Kreide-Kohle nun freiwillig, oder eben doch ein bisschen unfreiwillig komisch geraten ist, war nicht ganz klar. Vielleicht ist das Stück in der eigenen Kopf-Kartografie auch nur deshalb auf dem Humorkontinent gelandet, weil fast alles, was folgte, so erleichternd ironisch war.

Morgan Nardi – als Düsseldorfer zuständig für den NRW-Part des bi-regionalen Tanztausch-Abends – setzt nach seiner gelungenen „One M(org)an Show“ das Grübeln über den Einfluss des Sexus auf die Identität fort: „3rd“ – ein Stück über Intersexualität, von dem er auf Einladung der beiden Tanztausch-Kuratorinnen Mechthild Tellmann und Alexandra Schmidt einen Ausschnitt zeigte. Der Tanz hat spätestens mit Vaslav Nijinsky die Erotik des Androgynen entdeckt, man schwärmt für das unberechenbar Changierende in Kunst und Kultur. Doch in Medizin und Gesellschaft herrscht weiterhin Unsicherheit über den Umgang mit dem Phänomen des Hermaphroditen. Von wegen ‚Yin-Yang in uns allen‘ und harmonieseeligem „sind wir nicht alle ein bisschen Zwitter?“. Bei Nardi entbrennt in Platons Ideal, dem doppelgeschlechtlichen Kugelmenschen, ein Kampf: Nackt pressen sich zu Beginn seiner Performance ein männlicher und ein weiblicher Körper aneinander. Nicht symbiotisch, eher störend, als stünden sie sich im Weg. Sie kämpfen miteinander – es gibt keinen Sieger.

Doch Morgan Nardi präsentiert in seiner Performance auch einen offenbar konfliktfreien, authentischen Fall: Der kenianische Musiker Olith Ratego plaudert heiter über seine Zweigeschlechtlichkeit und zeigt dem ziemlich naiv fragenden Choreografen aus Deutschland mit karikierender Vereinfachung typisch männlich/weibliche Bewegungsmuster der afrikanischen Gesellschaft: Macho-Fäuste für den Mann, Handtaschen-Arm für die Frau. Nardi löst die saubere Dichotomie dann in einer Solo-Sequenz auf: Er verteilt das geschlechtsspezifische Bewegungsvokabular auf diverse Partien seines Körpers, als hätte er eine feminine und eine virile Schulter, ein graziles und ein muskulöses Bein, einen kraftstrotzenden Oberkörper und eine kurvig schwingende Hüfte. Beeindruckend choreografiert, nur zu schnell getanzt als dass man wirklich die Nuancen dieses in multi-sexuellen Körpers hätte erfassen können. Trotzdem ein „Best-of“ als Verheißung – wie auch Teil drei des Abends: Hermann Heisigs Vorschau auf sein neues Stück „Slap/Stick“.

Verbeulte Röhrenjeans, aus der eine kükengelbe Unterhose lugt, langer Hals, hilflos baumelnde Arme, leid-verklärter Madonnen-Blick und leicht vorgeschobene Hüften, als gelte es einem künftigen Schmerbauch schon jetzt eine Stütze zu bauen. Heisig muss nicht viel machen, um Lacher zu provozieren. Er geht, guckt, gibt sich selbstbewusst und ist doch peinlich wie ein Anti-Talent bei der Castingshow DSDS. Sein Work in Progress war ein wunderbarer Bewegungs-Essay über die Mechanismen der Komik: Über die Lustigkeit des Unangemessenen – wie beim inbrünstig präsentiertem Dilettanten-Tanz -, oder über den Kniff der Variation in der Wiederholung – wie etwa bei „Dinner for One“, wenn Diener James plötzlich nicht über den Kopf des Tigerfells stolpert. Und irgendwie wird man auch das Gefühl nicht los, dass der Tanz-Comedian Heisig ganz kalkuliert die beiden vorangegangenen Stücke des Abends zitiert und mit effeminiertem Habitus (siehe Nardi) und heiligem Ernst (siehe Gerbes) gestikuliert, als wolle er mittels Pantomime eine hochkomplexe Angelegenheit erörtern. Ein wunderbares Resumée zu diesem Abend. Denn was könnte besser die sympathisch-ambitionierte Themensetzung der zeitgenössischen Performer reflektieren – als ein inszeniertes Scheitern?