photos: Klaus Dilger

West und Ost mit starken Impulsen
Das Festival tanz.tausch entpuppt sich als Erfolgsmodell
Von Thomas Linden

Es gibt Tanzproduktionen, die legen den sehnsüchtigen Blick ins Programmheft nahe. Aber wer da hineinschaut, der stößt dann zum Beispiel auf den Hinweis, dass man gerade „Körperbilder“ gesehen hat, „die durch die Verbindung unterschiedlicher physischer und mentaler Zustände entstehen“. Aha. Dann wiederum darf man innerlich stramm stehen, wenn eine Ankündigung mit dem Hinweis folgt: „Untersucht wird das Erkennen seiner eigenen bzw. einer fremden Identität, die Notwendigkeit, sich zu verändern und die Ohnmacht gegenüber dem Wunsch, jemand anderer sein zu können.“ Ein wuchtiges Sujet für eine Tanzproduktion von veranschlagten 30 Minuten.

Aber es gilt ja auch nicht, was da geschrieben steht, sondern alleine das, was auf der Bühne zu sehen ist. Und dort präsentierten sich zum Abschluss des Festival tanz.tausch – das Produktionen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen in Köln gegeneinander stellte – zwei eigenwillige Choreographen. Hermann Heisig und Elpida Orfanidou aus Berlin zeigten „united states“ und Friederike Plafki präsentierte ihr mit dem Musiker Wolfgang Zamastil erarbeitetes „Affenstück“. Eine Produktion, die am Ort von tanz.tausch, dem Freiraum für TanzPerformanceKunst, Barnes Crossing, entstand. Die Berliner lieferten Bewegung in extremer Verlangsamung. Schon das Bühnenbild mit einem in Pelz gekleideten Matterhorn-Verschnitt deutete an, dass es hier nicht so ganz ernst zugehen würde.

In Zeitlupe komponiert man die rätselhaft angelegten Aktionen aufeinander zu. Wobei sich die gedehnten Körper immer wieder zu Posen formieren, die an Standbilder von Göttern, Helden oder den Soldaten von Iwo Jima erinnern. Das breite Grinsen von Hermann Heisig, wenn wieder einmal ein Heroe verulkt wird, kündigte die Ironie der Angelegenheit gleich unmissverständlich an. Mit einer Musik, die plötzlich, wenn die Dame den Herrn am Ohrläppchen zupft, zum akustischen Overkill anschwillt, streut Heisig kleine Schreckmomente in das skurrile Schweben und Gleiten ein. Wirklich subtil vermag sich der ironische Gestus nicht zu entwickeln, dafür wird zu wenig erzählt und zu vordergründig agiert.

Friederike Plafki schlägt das Thema Identität und Verwandlung an, das sie eklektisch in viele einzelne Partikel aneinander setzt. Nur wenige Momente finden sich, in denen sie tanzt. Dann agiert sie ausdrucksstark mit Beinen und Füßen, nimmt jedoch den Bewegungen wieder Kraft mit flüchtigen Armbewegungen und dem kleinteiligen Einsatz der Hände. Ein wenig ratlos wirken diese versprengten Tanz-Situationen. Der Cellist Wolfgang Zamastil bietet mit seiner Klangcollage ein wenig formalen Zusammenhang. Der geht in den Bühnenaktionen allerdings schnell wieder verloren. Friederike Plafki verlegt sich auf das Experimentieren mit digitalen Bildern. Ein Porträt von sich befühlt sie mit den Händen und schließlich schreitet sie durch den Video-Screen. Hier fehlt die inhaltliche Konsistenz, ein Konzept, das nicht beliebig Aktionen hintereinander setzt, die ohne Belang für das Thema bleiben. Vor allem jedoch fehlen bildmächtige Situationen.

Dem Publikumsinteresse konnte diese schwache Produktion nichts anhaben. Im Gegenteil, der Mut von Mechtild Tellmann und Alexandra Schmidt, einen kräftig durchpulsten Kreislauf zwischen den Tanz-Zentren im Westen und Osten der Republik zu installieren, findet seine Resonanz. Es wird gestritten und diskutiert über Ästhetik und Performance-Experimente und das mit einer Intensität, die an jedem der Veranstaltungstage noch zunahm. Keine Frage, tanz.tausch stellt sich als ein Gewinn für die nationale Szene dar, die enger zusammenrückt und sich deshalb auch gegenseitig Impulse schenken kann.

Hier geht es zum Video:
Trailer Affenstück